Hat dein Kind eine LRS und du stellst dir die Frage, wo finde ich die passende LRS Therapie?

Ist eine integrative Lerntherapie eine gute Wahl oder sollte mein Kind eher zum Logopäden? Beim Logopäden gibt es bestimmt die Möglichkeit, dass die LRS Therapie bzw. Lerntherapie über ein Rezept vom Arzt über die Krankenkasse bezahlt wird, so wie es hier in einer Facebook-Gruppe empfohlen wurde.

Kommentar in einer Facebook-Gruppe, 2023

Ein Rezept für eine LRS-Therapie oder Lerntherapie vom Logopäden gibt es allerdings nicht.

Da aber vielen Eltern und pädagogischen Fachkräften oft unklar ist, wo die Grenzen, aber auch Schnittstellen zwischen einer Logopädie und einer Lerntherapie sind, habe ich Stefanie Schmidt interviewt. Sie ist seit 25 Jahren Logopädin und seit 15 Jahren auch Lerntherapeutin.

Du bekommst hier Antworten auf folgende Fragen:

  • Wann braucht dein Kind einen Logopäden und wann ist eine Lerntherapie die bessere Wahl
  • Bei welchen Herausforderungen kann ein Logopäde unterstützen
  • Welche Unterstützung bietet eine integrative Lerntherapie
  • Wie du die richtige Unterstützung für dein Kind findest und
  • Wie der Sprachbaum dabei helfen kann
Stefanie Schmidt, Logopädin und Lerntherapeutin

Logopädin und Lerntherapeutin Stefanie Schmidt

Stefanie ist eine erfahrene Logopädin (seit 25 Jahren) und Lerntherapeutin (seit 15 Jahren) in unserem Netzwerk. Sie arbeitet vor allem mit Kindern, die besondere Unterstützung beim Spracherwerb und im Schriftsprachbereich benötigen. Ihre Schwerpunkte umfassen:

  • Behandlung von Sprachentwicklungsstörungen (SES), besonders bei Late Talkern (Kinder, die mit 2 Jahren noch nicht sprechen)
  • Unterstützung von Kindern mit erschwertem Spracherwerb, z.B. bei Verbaler Entwicklungsdyspraxie (VED) oder bei Behinderungen, die zusätzliche Kommunikationshilfen erfordern
  • Beratung der Eltern und des kindlichen Umfeldes als wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeit
  • Begleitung von Grundschulkindern mit auditiven Verarbeitungsstörungen (AVWS) und Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten

Wie kann man sich die Arbeit eines Logopäden vorstellen?

Die Logopädie umfasst ein sehr breites Aufgabenspektrum. Logopäden behandeln Kinder, Jugendliche und Erwachsene in den vier großen Störungsbereichen: Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen.

Sprachstörungen bei Kindern sind z.B. Sprachentwicklungsstörungen, bei Erwachsenen können Sprachstörungen in Form einer Aphasie z.B. nach einem Schlaganfall auftreten.

Zu den Sprechstörungen gehören z.B. der Sigmatismus, welcher umgangssprachlich als “Lispeln” bezeichnet wird, aber auch Stottern. Sie können aber auch bei einer neurologischen Erkrankung, wie bei Morbus Parkinson auftreten.

Stimmstörungen kommen häufig in Sprecherberufen bei Lehrern oder Erzieherinnen vor, aber auch bei Kindern und Jugendlichen können diese auftreten.

Schluckstörungen: Bei Kindern können Ess- und Trinkschwierigkeiten z.B. bei Frühgeburten auftreten oder bei der Umstellung von der Milchnahrung auf zunehmend festere Konsistenzen. Erwachsene können eine sog. Dysphagie nach einem Schlaganfall oder auch bei degenerativen neurologischen Krankheiten entwickeln.

Logopädie oder Lerntherapie – wann brauche ich welche Unterstützung?

In Bezug auf Kinder bedeutet dies: Wenn mein Kind z.B. eine Störung in der Lautbildung und -verarbeitung oder eine Sprachentwicklungsstörung hat, sollte man mit dem Kinderarzt Kontakt aufnehmen und dies besprechen. Dieser kann dann eine sog. Heilmittelverordnung ausstellen. Damit kann man dann einen Termin bei einer Logopädin ausmachen. Ein Logopädie-Rezept darf auch ein HNO-Arzt oder Pädaudiologe ausstellen, das ist ein spezialisierter HNO-Arzt. Die Kosten für die Therapie übernimmt dann die Krankenkasse.

Eine Lerntherapie ist sinnvoll, wenn ein Kind massive Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb oder im Bereich der mathematischen Fertigkeiten hat, so dass sich eine Legasthenie/ Lese-Rechtschreib-Störung bzw. eine Dyskalkulie/Rechenstörung ausbildet.

Die Integrative Lerntherapie ist eine Therapieform zur Behandlung von Lern-, Leistungs- und Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten. Sie bezieht sich vor allem auf Legasthenie (Lese- und Rechtschreibstörung) oder Dyskalkulie (Rechenstörung). Wikipedia

Ich habe mich als Lerntherapeutin auf den Bereich der Lese-Rechtschreib-Störungen (LRS) spezialisiert, so dass ich nun darauf genauer eingehen werde: Im Bereich der Lese-Rechtschreib-Störung können das Lesen oder das Schreiben oder beides betroffen sein. Viele Kinder leiden so sehr unter dieser Störung, dass sie sich selbst sehr abwerten und eine negative Einstellung zu sich selbst (“Ich bin dumm!”) oder zum Lernen an sich entwickeln können, so dass das Abrutschen in eine allgemeine negative Lernspirale droht.

Eine LRS kann von einem Kinder- und Jugendpsychiater oder darauf spezialisierten Psychologen diagnostiziert werden. Hier ist wichtig, dass alle Säulen der multiaxialen Diagnostik berücksichtigt werden.

Die Therapie der Lese-Rechtschreib-Störung wird jedoch nicht von den Krankenkassen übernommen. Hier ist es so, dass die Familien versuchen können, eine Kostenübernahme über die Eingliederungshilfe des Jugendamtes finanziert zu bekommen (§35a SGB VIII). Dies ist möglich, wenn eine seelische Behinderung aufgrund der mangelnden Lese-Rechtschreibkompetenz droht. Eine weitere Möglichkeit ist die Finanzierung der Lerntherapie (LRS-Therapie) durch die Eltern selbst.

Ich höre oft: Bei einer LRS hole ich mir ein Rezept von der Krankenkasse und gehe zum Logopäden, wie ist deine Meinung dazu?

Das finde ich eine ganz schwierige Aussage! Die Finanzierung einer Lerntherapie durch ein logopädisches Rezept ist nicht erlaubt. Denn die Lerntherapie ist keine Leistung des Heilmittelkataloges für Logopädie. Damit machen sich Praxen strafbar und spielen mit Ihrer Kassenzulassung.

Die Finanzierung einer Lerntherapie durch ein logopädisches Rezept ist nicht erlaubt.

Aber auch aus Qualitätsgründen halte ich ein solches Vorgehen nicht für sinnvoll!

Der Bereich Lese-Rechtschreibstörungen ist im Ausbildungskatalog der Logopädieausbildung ein Wahlfach. Es umfasst einen kleinen Stundenumfang, der nur einen ganz groben Überblick über das Störungsbild, nicht aber über die Inhalte einer Lerntherapie bieten kann. Hier sind eine umfassende zertifizierte Weiterbildung oder ein Studium nötig.

Die Therapiebereiche der Lerntherapie sind sehr breit gefächert. Es geht um die Basisfertigkeiten Lesen und Schreiben. Aber auch um die Wiederherstellung eines positiven Selbstwertes und das Erarbeiten von geeigneten (Lern-)Techniken.

Die Arbeit mit allen Beteiligten nimmt einen großen Stellenwert ein, d.h. es geht darum, wie durch geeignete Maßnahmen in Therapie, Elternhaus und Schule eine positive Entwicklung im Bereich des Schriftspracherwerbs erlangt und insbesondere die seelische Belastung berücksichtigt werden kann. Das Thema Eingliederung in die Gesellschaft und Teilhabe sind im Bereich der Lerntherapie ganz wichtige Therapiebereiche. Dazu reicht das logopädische Wissen bei weitem nicht aus.

Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Schnittstellen zwischen Logopädie und Lerntherapie gibt es? 

Es gibt durchaus Schnittstellen der beiden Disziplinen. Eine LRS entwickelt sich ja nicht aus heiterem Himmel heraus. Viele Kinder mit einer LRS hatten eine Sprachentwicklungsstörung oder VED. Wichtig zu wissen ist aber, dass es im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass jedes Kind mit einer SES auch eine LRS entwickeln wird!

Wenn ich ein SES-Kind in logopädischer Therapie habe, kann ich im Herbst vor dem Schuleintritt eine genauere Diagnostik im Bereich der phonologischen Bewusstheit durchführen. Dies sind wichtige Basiskompetenzen, die im Vorschulalter trainiert werden können, damit der Schriftspracherwerb gut gelingt. Dies wäre auch im Bereich der Logopädie zu behandeln.

Manche Kinder haben aber auch eine AVWS – eine auditive Verarbeitungs-und Wahrnehmungsstörung. Auch dies ist ein logopädisch zu behandelndes Störungsbild. Diese Kinder fallen oft erst im Vorschulalter oder in Klasse 1/2 auf. Wichtig zu wissen ist, dass sich die mangelnden Fertigkeiten im Bereich der auditiven Wahrnehmung und Verarbeitung, z.B. das sichere Unterscheiden von ähnlich klingenden Lauten (“Höre ich bei Blume vorne ein /b/ oder /p/?”) auf den Schriftspracherwerb auswirken können.

Die Therapie in diesem Bereich kann die Lese- und insbesondere die Schreibfertigkeiten bereits indirekt positiv beeinflussen, so dass die Kinder keine weitere zusätzliche professionelle Unterstützung benötigen.

Es gibt aber auch Kinder, bei denen sowohl eine AVWS als auch eine LRS diagnostiziert wird. Hier kann zum Einstieg logopädisch der auditive Bereich gefördert werden, im Anschluss ist dann aber eine Lerntherapie sinnvoll.

Einige junge Grundschulkinder werden aber auch zur Lerntherapie angemeldet, da sie nicht alle Buchstaben korrekt schreiben würden. Wenn ich mir dann aber die Spontansprache genauer anschaue, wird deutlich, dass die Lautsprache recht undeutlich klingt und es sogar noch Lautersetzungen geben kann, wie z.B. /swein/ statt /Schwein/ oder /trachen/ statt /drachen/. Hier wäre zunächst eine logopädische Therapie nötig, um die Schwierigkeiten im Bereich der Aussprache zu überwinden.

Wie finde ich heraus, welche Unterstützung mein Kind benötigt?

Der Sprachbaum nach Prof. Dr. Wendlandt zeigt meiner Ansicht nach sehr anschaulich, dass eine gute Sprachentwicklung die Grundlage für einen gelungenen Schriftspracherwerb darstellt. Der Stamm und die dicken Äste sind Aufgabenbereich der Logopädie. Im Bereich der auditiven Wahrnehmung wird dann die Schnittstelle zum Schriftspracherwerb deutlich. Ganz oben in den Wipfeln ist diese Kulturtechnik verankert. Kommt es hier zu Auffälligkeiten, die so schwerwiegend sind, dass man von einer Störung im Schriftspracherwerb spricht, also von einer Lese-Rechtschreib-Störung oder Legasthenie, dann setzt hier die Lerntherapie bzw. LRS Therapie an.

Sprachbaum nach Prof. Dr. Wolfgang Wendlandt

 

Vielen lieben Dank Steffi für deinen Einblick und die unterschiedlichen Schwerpunkte der Logopäden und Lerntherapeuten. Insbesondere den Sprachbaum finde ich eine wunderbare Visualisierungsmöglichkeit für Eltern, aber auch pädagogische Fachkräfte, um die richtige Unterstützung für die Therapie der LRS zu finden.

Mein persönliches Fazit: Idealerweise bekommen die Kinder die Unterstützung, die ihnen am besten hilft und dafür ist es wichtig die Unterschiede zwischen einer logopädischen Therapie und einer Lerntherapie zu kennen. Oft wird aber, was ich -aus menschlicher Sicht- total verstehe, danach geschaut, was finanziell machbar ist. Umso wichtiger ist es, dass Schüler frühzeitig und präventiv Unterstützung bekommen und bei Bedarf eine lerntherapeutische Unterstützung in die Schule integriert wird.

 

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Abkürzungen

SES: Sprachentwicklungsstörung

VED: Verbale Entwicklungsdyspraxie

LRS: Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten /-Schwäche, /-Störung (mehr Infos zu den verschiedenen Begriffen)

AVWS: auditive Verarbeitungs-und Wahrnehmungsstörung

 

Quellen/weiterführende Literatur

S3 Leitlinie Lese-Rechtschreib-Störung

S3 Leitlinie Sprachentwicklungsstörung

Dr. Wolfgang Wendlandt: Psychotherapie, Sprache, Kommunikation, Supervision

Wikipedia: Was ist eine integrative Lerntherapie

 

2 Comments

  • Wunderbar verständlich und nachvollziehbar.
    Ich bedanke mich sehr für diese „Gegenüberstellung“ und das Herausarbeiten der Unterschiede.

    Schade, daß es in diesem Land so schwierig ist, gute und ausreichend viele Lerntherapeuten zu finden.
    Schade, daß diese Hilfe nicht seitens der Schulen angeboten/empfohlen werden sondern immer nur auf Eigeninitiative der Eltern/Großeltern.
    Unser Enkelkind geht nach 3 Jahren DFK-Förderklasse ab jetzt in die 3. Regelklasse und kann kaum lesen.
    Von Lerntherapeuten haben wir durch Zufall über eine Bekannte erfahren.
    Plätze sind rar und mit viel durch-die-Stadt-fahren verbunden.
    Eine uns geeignet erscheinende Therapeutin ist am anderen Ende der Stadt und hat nur noch eine Stunde – abends 17 Uhr – Kapazität.
    Das Kind bekommt Medikamente aufgrund einer ADS … die sind um diese Zeit schon verstoffwechselt … Welche Leistungen kann man dann noch von unserem Enkel erwarten?

    • vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Ggf. wäre eine online Lerntherapie eine Alternative, dann entfällt die Fahrtzeit. Ihrem Enkel wünsche ich alles Gute.

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