Eine positive Fehlerkultur stärkt Schüler fördert ihre Lernentwicklung. Wöchentliche Kurztests hingegen erzeugen häufig großen Lernfrust. Der ursprüngliche Gedanke, zu überprüfen, ob Schüler die Unterrichtsinhalte verstanden haben, verfehlt oft sein Ziel: Statt Sicherheit und Verständnis zu fördern, verstärken solche Tests den Leistungsdruck und die Angst vor Fehlern.

Eine Mutter berichtet: „Mein Kind kommt jede Woche mit einer 5 oder 6 im Kurztest nach Hause. Die letzte „6“ in Mathe war besonders frustrierend – die Einmaleins-Aufgaben der 8er-Reihe wurde gerade mal wenige Tage vorher eingeführt und schon wurde der Test geschrieben.“

Aber was sind Alternativen zu Kurztests und wie können wir Schüler zum Lernen motivieren und emotional stärken?

Kurztests: Der Fokus auf Ergebnisse

Warum sind Kurztests, die immer und immer wieder Faktenwissen abfragen so kritisch zu sehen?  Sie konzentrieren sich vor allem auf das Ergebnis, nicht auf den Lernprozess. Das hat Folgen für die Motivation und das Selbstvertrauen der Schüler. Fehler werden als Misserfolge angesehen, nicht als Chancen zum Lernen.

Ein Schüler, der ständig Tests schreibt, bekommt immer wieder Feedback darüber, was er „nicht kann“. Das kann schnell zu einem negativen Selbstbild führen: „Ich bin schlecht in Mathe.“ Der Druck, regelmäßig getestet zu werden, erzeugt Angst vor Fehlern.  Das ständige Erleben von Misserfolgen kann die Motivation, sich mit Mathematik zu beschäftigen, erheblich mindern.

Fehler sind Teil des Lernens

Dr. Sebastian Wartha, Leiter des Instituts für Mathematik der Pädagogischen Hoch­schule Karlsruhe (PHKA) sagt, es ist so wichtig, offen für das Denken der Schüler zu sein.

In der Mathematik gehören Fehler zum Lernprozess Prof. Dr. Sebastian Wartha

Fehler muss ich als Lehrkraft aber auch verstehen, ich sollte daher aktiv hinterfragen, wie ist der Schüler vorgegangen, warum hat er genau so gerechnet? Welche Strategien nutzt er?

Auch der Bildungsplan Mathematik für die Grundschule (Baden-Württemberg)  sieht vor, dass Schüler „Rechenfehler finden, erklären und korrigieren“. Dafür braucht es aber eine aktive Anleitung und einen wertschätzenden Umgang mit Fehlern. In Mathebüchern befinden sich Aufgabenformate, in denen „falsche“ Aufgaben von den Schülern korrigiert werden sollen. Wenn es aber um die eigenen Fehler geht, dann fehlen den Schülern oft Lösungsstrategien.

Fehler sind Helfer

Herausforderungen von Schülern mit einer Rechenschwäche 

Kinder mit einer Rechenschwäche fühlen sich häufig sehr unsicher, was dazu führen kann, dass sie Matheängste entwickeln können. Diese Angst wird oft durch eine zu frühe und schnelle Automatisierung verstärkt, bei der grundlegende Rechenfertigkeiten sofort automatisiert werden sollen, ohne dass das Verständnis dafür ausreichend vorhanden ist. Kurztests können daher zu großem Frust führen, weil oft zu schnell Faktenwissen vorausgestzt wird.

Dies ist sogar doppelt schwierig zu sehen, denn zum einem entsteht bei Schülern großer Lernfrust und zum anderen verbaut ein zu frühes Automatisieren das Verständnis und das Nachdenken über die Zusammenhänge der Einmaleins-Aufgaben.

Tipps für den Unterricht

Im Folgenden möchte ich ein paar Beispiele aufzeigen, welche Möglichkeiten sich eigenen, um den Lernstand von Schülern zu evaluieren und  gleichzeitig eine positive Fehlerkultur zu etablieren.

Formative Bewertungen

Eine Möglichkeit ist es, vermehrt auf formative Bewertungen setzen, die den Lernprozess anstatt das Endergebnis bewerten.

Dies kann durch Feedback-Gespräche, Gruppenarbeiten oder auch den Mathebriefkasten umgesetzt werden. Schüler notieren z.B. den Rechenweg und beschreiben wie sie vorgegangen sind, denn das ist wichtiger als die richtige Lösung. Lehrkräfte können dies fördern, indem sie Schüler fragen „Was hast du daraus gelernt?“.

Im ersten Beispiel sieht man einen Auszug aus einem Kurztest, der in der Regel alle 1-2 Wochen geschrieben wird. Kaum ist eine Reihe eingeführt, kommt der Kurztest. Die 8er Reihe ist 3 Tage zuvor eingeführt worden und der Schüler hat diese daher leer gelassen. Der Schüler hat nicht erkannt, dass er zuvor (siehe zweites Bild) 8 mal 2 schon ausgerechnet hat.

Die 8er Reihe wurde wenige Tage zuvor eingeführt. Hier wird Reihe für Reihe abgefragt ohne die so wichtige Vernetzung der Einmaleins-Reihen untereinander
Warum Vernetzung so wichtig ist. Dem Schüler wird nicht bewusst, dass er 8mal 2 bereits zuvor ausgerechnet hat als die 8er Reihe dran kam, die er glaubte nicht zu können.
DIe Denkwege der Schüler erfassen durch gezielte Fragen, die diagnostisches Potenzial haben

Indem die Schüler ihre Vorgehensweise dokumentieren, gewinnen Lehrkräfte Einblick in die Denkprozesse der Schüler und können auch den Eltern gezielte Empfehlungen geben, woran noch geübt werden sollte. Zum Beispiel, ob die Grundlagen des Einmaleins verstanden sind, ob die Kernaufgaben sicher beherrscht werden, und ob das Prinzip des Einmaleins überhaupt verstanden wurde.

Fehler im Unterricht thematisieren

Im Unterricht sollten Fehler als natürlicher Teil des Lernens betrachtet werden, um die Angst davor zu verringern und Neugier zu fördern. Lehrkräfte können verdeutlichen, wie Fehler zu kreativen Lösungen führen, und Schüler ermutigen, diese zu analysieren und daraus zu lernen. So stärkt man ihr Selbstvertrauen und schafft ein Umfeld, in dem Lernen durch Versuch und Irrtum gefördert wird. Viele Erfindungen wie Cornflakes, MyMüsli oder Post-its entstanden durch Fehler und zeigen, dass Irrtümer zu neuen Erkenntnissen führen können (mehr Infos zu den Erfindungen und Impulse für eine positive Fehlerkultur findest du Ende September zum bundesweiten Aktionstag im Betzold Blog).

Fehlerhelferblatt

Auch das ist ganz wunderbare Idee, um Schülern zu helfen, über ihre Fehler zu reflektieren und aktiv daraus zu lernen. Das Fehlerhelferblatt zu etablieren braucht etwas Zeit, damit die Schüler wissen, wie sie erkennen, welche Fehler sie gemacht haben und wie sie diesen verbessern können. Aber mit etwas Übung, wird aus dem Fehler eine gute Lerngelegenheit.

Das Vorgehen umfasst 5 Schritte und der Schüler lernt aktiv über seine Fehler nachzudenken, sie zu verbalisieren und eigene Ideen zur Lösung zu entwickeln.

Schritte in der Fehleranalyse
1. Eintragen des Fehlers
2. Notieren der Vermutungen
3. Nachfragen beim Kind
4. Hervorheben des vermuteten Fehlertyps
5. Überlegen von Hilfen

Warum bewertungsfreie Zeiten wichtig sind

Eine positive Fehlerkultur braucht Raum und Zeit – genau das bieten bewertungsfreie Zeiten im Unterricht. Bewertungsfreie Zeiträume ermöglichen es den Schülern, sich ohne Druck mit dem Lerngegenstand zu beschäftigen. Sie schaffen eine Atmosphäre, in der Fehler als Lernchancen gesehen werden können, anstatt als Zeichen des Versagens. In Rheinland-Pfalz ist dies in der Schulordnung verankert: „Der Unterricht muss genügend bewertungsfreie Lernabschnitte enthalten“ (GrSchulO §33). Auch in Baden-Württemberg findet man bei den Informationen zum selbstorganisiertem Lernen folgenden Hinweis:

Bewertungsfreie Zeiträume sind unabdingbar, um in einem Klima des Vertrauens und der Ermutigung individuelle Lernprozesse zulassen zu können und zu reflektieren

Es ist entscheidend, dass Schüler nicht nur lernen, wie man Aufgaben richtig löst (das kann möglicherweise auch mit fehlerhaften Strategien sein – z.B. zählend), sondern auch den Weg dorthin verstehen und es auf andere Aufgaben übertragen können.

Positive Fehlerkultur: Langfristige Vorteile

Eine Kultur, die Fehler als natürliche und wertvolle Teile des Lernprozesses akzeptiert, bringt langfristige Vorteile für Schüler. Sie lernen, ihre Fehler zu reflektieren und aus ihnen zu lernen, anstatt sie zu fürchten. Dies stärkt nicht nur ihre mathematischen Fähigkeiten, sondern auch ihr Selbstbewusstsein und ihre Motivation.

In einer unterstützenden Umgebung entwickeln Schüler eine positivere Einstellung zum Lernen und zur Mathematik. Zudem schafft eine motivierende Lernumgebung, die Schüler hilft, ihr Potenzial voll zu entfalten

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Quellen:

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