Regelschule oder Förderschule? Was ist der bessere Ort für Schüler mit einer LRS oder Rechenschwäche?

Diese Frage bekomme ich sehr sehr häufig gestellt und auch Lehrkräfte und Eltern sind oft überfragt. Ganz oft höre ich in Beratungen von Eltern, die folgendes von Lehrkräften zurückgemeldet bekommen:

„Aufgrund der Dyskalkulie können wir hier an der Grundschule für ihr Kind leider nichts mehr machen.“ oder

„Eine doppelte Teilleistungsstörung (Hinweis: LRS und Rechenschwäche treten gemeinsam auf) gibt es gar nicht. Ihr Kind ist auf einer Förderschule besser aufgehoben, uns sind die Hände gebunden.“ oder

„Solange der Sonderpädagoge Ihr Kind nicht getestet hat, müssen wir abwarten.“

Kurzer Exkurs zu den Begrifflichkeiten

Den Begriff „Förderschule“ gibt es nicht mehr. Der korrekte Begriff ist „Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum, Es gibt unterschiedliche SBBZ´en, die jeweils einen anderen Förderschwerpunkt haben. Um nur ein paar zu nennen:

  • SBBZ – Lernen
  • SBBZ – Sprache
  • SBBZ – emotionale und soziale Entwicklung
  • SBBZ – Sehen

Weitere Förderschwerpunkte kann man hier in Ruhe nachlesen.

In meinem Blogbeitrag verwende ich den Begriff Förderschule, da er geläufiger ist und er leichter lesbar ist.

Der Schwerpunkt dieses Blogbeitrages sind die Regelungen in Baden-Württemberg und wenn ich von Förderschule spreche, dann meine ich in diesem Zusammenhang das SBBZ mit dem Schwerpunkt Lernen,

Welche Zukunft hat mein Kind – Ängste von Eltern 

Wenn das eigene Kind auf eine Förderschule gehen soll, fühlen sich viele Eltern verunsichert. Rund um das Thema Förderschule ranken sich zahlreiche Mythen, die oft Ängste schüren und Zweifel verstärken. Eine der häufigsten Fragen lautet: „Welche Zukunftsperspektiven hat mein Kind, wenn es auf eine Förderschule geht?“

Viele befürchten, dass der Besuch einer Förderschule das Kind stigmatisieren und seine beruflichen Chancen einschränken könnte.

Interview mit einer Sonderpädagogin am SBBZ Lernen

Ich habe mich mit einer Sonderpädagogin, die an einem SBBZ (Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum arbeitet) mit dem Schwerpunkt Lernen arbeitet, unterhalten und mit ihr folgende Fragen diskutiert (es wurde gewünscht, das Interview anonymisiert zu veröffentlichen):

  • Ist eine Förderschule (SBBZ mit dem Schwerpunkt Lernen) der richtige Ort für Schüler mit Legasthenie und/oder Dyskalkulie?
  • Was macht der sonderpädagogische Dienst?
  • Warum ist der Nachteilsausgleich so wichtig?
  • Wo bekommen Eltern Unterstützung?
  • Welche Tipps kannst du Eltern mitgeben?
  • An wen können sich Lehrkräfte wenden, wenn der Verdacht auf eine LRS/Rechenschwäche besteht?

Ich habe vor allem einen Wunsch, Eltern die Angst zu nehmen, wenn der sonderpädagogische Dienst ins Boot geholt wird, denn alle haben das gemeinsame Ziel: Sie möchten das bestmögliche für das jeweilige Kind.

Förderschule oder Regelschule? Wer ist denn jetzt für die Förderung des Schülers verantwortlich?

Das ist ganz klar geregelt, grundsätzlich hat die Regelschule die Verantwortung, jedes Kind bestmöglich zu fördern, unabhängig davon, ob bereits eine Diagnose vorliegt oder nicht. Sie muss sicherstellen, dass jedes Kind gemäß seinen individuellen Bedürfnissen gefördert wird, und dazu gehört auch die Anwendung des sogenannten Nachteilsausgleichs. Dieser ermöglicht es Kindern mit Lernschwierigkeiten, trotz ihrer Herausforderungen erfolgreich am Unterricht teilzunehmen.

Liegt bereits eine Diagnose vor, kann diese als wertvolle Grundlage dienen, um gezielte Fördermaßnahmen festzulegen und umzusetzen. In einem Diagnosebericht finden sich oft konkrete Empfehlungen, die die Schule nutzen kann, um die individuelle Unterstützung des Kindes zu konkretisieren.

Wie kann der sonderpädagogische Dienst unterstützen? 

Das Ziel des Sonderpädagogischen Dienstes ist es, „Das Kind zu befähigen, dem Bildungsgang der allgemeinbildenden Schule zu folgen“ (aus der Prozessbeschreibung des sonderpädagogischen Dienstes). Weiter ist in der Prozessbeschreibung notiert, dass

Die Sonderschullehrkraft beratend und unterstützend tätig ist und die Gesamtverantwortung für das Kind und die Koordination der Fördermaßnahmen die allgemeinbildende Schule hat.

Die Lehrkraft bzw. Schule kann sich an den sonderpädagogischen Dienst wenden und um Unterstützung bitten. Allerdings geschieht dies immer nur in Zusammenarbeit und mit Genehmigung der Eltern. Das ist ganz wichtig für Eltern zu wissen, nichts passiert ohne deren Einwilligung.

Es ist die Verantwortung der Schule vor dem Kontakt mit dem sonderpädagogischen Dienst Fördermaßnahmen und einen individuellen Nachteilsausgleich umzusetzen. Außerdem hat die Schule die Möglichkeit andere Anlaufstellen vorab in Anspruch zu nehmen (Beratungslehrer, schulpsychologische Beratungsstelle). Wichtig ist zu berücksichtigen, dass es dauern kann -einige Wochen oder auch Monate-  bis der sonderpädagogische Dienst freie Kapazitäten hat und dann vor Ort unterstützen und beraten kann.

Der genaue Ablauf des sonderpädagogischen Dienstes

Für den Ablauf des Sonderpaedagogischen Dienstes spielt es keine Rolle, ob vorab schon eine Diagnose (z.B. Legasthenie oder Dyskalkulie) gestellt wurde. Der Ablauf ist immer der Gleiche.

Vorher gestellte Diagnosen können jedoch als Grundlage genommen werden und in die Ergebnisse mit einbezogen werden.

Meine Aufgaben sind dann folgende

  • Beratung und Unterstützung der Lehrkräfte, aber auch Eltern
  • Durchführung einer kooperativen Diagnostik, diese beinhaltet u.a. einen Intelligenztest Den Lernstand für Mathe und Deutsch lasse ich mir von der Klassenlehrkraft geben.
  • außerdem hospitiere ich im Unterricht und
  • erstelle einen individuellen Förderplan in Zusammenarbeit mit der Lehrkraft der allgemeinbildenden Schule und in Kooperation mit den Eltern (ggf. noch mit außerschulischen Partnern)
  • berate zum Nachteilsausgleich
Beispiel eines Förderplans - unterteilt in Förderbereich, Ziele, Maßnahmen und Zuständigkeit
Beispiel eines Förderplans

Das weitere Vorgehen orientiert sich nicht nur am IQ, sondern wir Sonderpädagogen schauen uns alle Bereiche des Kindes an und berücksichtigen dies in unserem Förderplan.

Die Verantwortung den Förderplan umzusetzen liegt sowohl bei der Schule als auch bei den Eltern.

Das Ziel des Sonderpädagogischen Dienstes ist immer der Verbleib an der Regelschule. Erst wenn die Maßnahmen nach mehreren Wochen nicht greifen, wird eine Anspruchsprüfung beantragt.

Bei einer LRS oder Rechenschwäche (bzw. Legasthenie/Dyskalkulie) liegt der IQ im Durchschnitt, ansonsten kann die Teilleistungsstörung erst gar nicht diagnostiziert werden.

Wo finden Eltern innerschulisch Hilfe, wenn sie den Verdacht auf LRS oder Rechenschwäche haben?

Natürlich darf man sehr gerne den sonderpädagogischen Dienst kontaktieren, aber bis wir freie Kapazitäten haben, vergeht einfach wertvolle Zeit. Zeit, die man für eine innerschulische Förderung nutzen könnte.

Welche Tipps kannst du Eltern mitgeben?

Vor allem eins, bleiben Sie am Ball und bedenken Sie, dass der sonderpädagogische Dienst in erster Linie an die Schule kommt, um die Lehrkräfte zu beraten und nach Lösungen zu suchen, wie der Schüler an der Regelschule bestmöglich unterstützt werden kann

  • überprüfen Sie, ob die Maßnahmen, die im Förderplan notiert werden, auch seitens der Schule umgesetzt werden
  • weil unser Schulsystem momentan stark überlastet ist, haben Sie als Eltern eine große Verantwortung, fragen Sie nach, wenn etwas unklar ist
  • bleiben Sie gelassen, der sonderpädagogische Dienst möchte das Beste für Ihr Kind und
  • im gemeinsamen Gespräch mit der Schule werden Lösungen besprochen, damit Ihrem Kind das Lernen zukünftig leichter fällt

Wohin können sich Lehrkräfte wenden?

Die erste Anlaufstelle bei einem Verdacht auf LRS oder Rechenschwäche ist nicht der sonderpädagogische Dienst. Natürlich kann er kontaktiert werden, aber in der Regel vergeht dann viel Zeit, Zeit, die die Schule nutzen könnte, um innerschulische Unterstützungsmaßnahmen und einen Nachteilsausgleich in die Wege zu leiten.

Für Lehrkräfte greifen die oben genannten Anlaufstellen, die auch für Eltern hilfreich sind. Zusätzlich könnte noch die Arbeitsstelle Kooperation (ASKO) kontaktiert werden.

__________________________________________________________________

Danke für dieses Interview und den Einblick in die sonderpädagogische Diagnostik, die Förderung und Abläufe an einem SBBZ mit dem Schwerpunkt Lernen.

Grundsätzlich gibt es keine pauschale Empfehlung, welcher Lernort für den Schüler der Richtige ist. Es ist jedes Mal eine ganz individuelle Entscheidung. Ich persönlich finde es aber wichtig, zu sensibilisieren und aufzuklären und Lehrkräften und Eltern Möglichkeiten der Anlaufstellen aufzuzeigen. Wichtig ist, abwarten ist keine Lösung.

„Jedes Zuwarten mit einer fundierten Förderung verschlechtert die Chancen auf Besserung bei dem Kind erheblich.“ Marwege, 2013

 

Quellen:

Sonderpädagogin aus dem SBBZ Schwerpunkt Lernen (2024, August). Persönliches Gespräch.

Marwege, A. (2013). Legasthenie und Dyskalkulie in der Schule: Eine verfassungsrechtliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention. Universitätsverlag Göttingen

Landesverband Legasthenie und Dyskalkulie, Baden-Württemberg: Schulische Förderung bei Lese-Rechtschreibschwierigkeiten

Formulare und Materialien auf der Seite vom Schulamt Donaueschingen: unter Sonderpädagogisches Bildungsangebot 

2 Comments

  • Als Sonderschullehrerin und Lerntherapeutin (Fil, BVL) habe ich mich in Schule und in freier Praxis immer wieder dafür eingesetzt, Kinder mit Teilleistungsstörungen und Schüler mit Lernbehinderung nicht zu vermischen. Nur durch Anträge auf AO-SF bei Schülern mit LRS und Dyskalkulie bin ich zur Lerntherapie gekommen, weil ich diese Schüler bei normalem IQ nicht mit in die Förderschule nehmen wollte.
    Zwar ist der IQ nicht in Stein gemeißelt, aber in der Regel lassen sich eindeutige Tendenzen erkennen. Nur so entkommen viele Schüler mit „Kombistörung“ der Förderschule oder der Abstempelung als Förderschüler.
    Um nicht missverstanden zu werden. Als Lerntherapeutin in Schule habe ich immer alle Schüler gemeinsam gefördert. Das war vor allem in den ersten beiden Schuljahren kein Problem. In NRW wird sowieso erst in der 3. Klasse ein Feststellungsverfahren angestrebt.
    Aber: Schüler mit Teilleistungsstörungen haben auf lange Sicht andere Chancen, den zielgleichen Lernstoff, auch mittels Nachteilsausgleich, zu bewältigen. Vielen steht das Abitur offen. Eine unnötige Vermischung beider Schülergruppen hat für Schüler mit Terilleistungsstörungen daher unter Umständen schwerwiegende Folgen und verbaut schulische Chancen.

    • Liebe Hildegard, danke für Einschätzung. Das Thema ist so wichtig und in jedem Bundesland läuft es anders, daher danke auch für deinen Einblick in das Bundesland NRW. Lieben Gruß Susanne

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert