Tiergestützte Lerntherapie ist noch relativ unbekannt, insbesondere wie der praktische Einsatz genau aussehen könnte. Doch was genau verbirgt sich unter einer tiergestützten Lerntherapie? Eignet sich dafür jedes Tier? Sollte man auf bestimmte Dinge achten? Benötigt man hierfür ein bestimmtes Hintergrundwissen oder eine bestimmte Fortbildung?
Oft ist nicht ganz klar, was unter tiergestützter Therapie verstanden wird, da der Begriff nicht immer ganz präzise definiert bzw. häufig auch nicht eindeutig verwendet wird.
Im Gespräch mit Sarah Schnitzler Lerntherapeutin aus Mönchengladbach gehen wir genau auf diese Fragen ein und und schauen uns anhand eines Beispiels aus dem mathematischen Bereich den Aufbau einer Intervention genauer an.
Was genau versteht man unter tiergestützter Therapie?
Der Begriff „tiergestützte Therapie“ und auch der Begriff „tiergestützte Pädagogik“ werden inzwischen dem Oberbegriff „tiergestützte Interventionen“ zugeordnet. Tiergestützte Interventionen verfolgen ein bestimmtes Ziel, welches in einem bestimmten beruflichen Setting (z.B. in der Pädagogik oder der Sozialarbeit) strukturiert geplant und umgesetzt wird, um den Menschen auf unterschiedlichen Ebenen (z.B. psychisch, kognitiv oder sozial) zu fördern und zu unterstützen.
Im Hinblick auf die tiergestützte Therapie gehen wir immer von einer ausgebildeten Fachkraft aus, d.h. neben einer Grundausbildung in dem eigenen Fachgebiet (z.B. Gesundheitswesen) hat die Person eine zusätzliche Ausbildung absolviert, um das jeweilige Therapietier professionell einzusetzen. Bestandteil dieser zusätzlichen Ausbildung ist auch das Wissen über verhaltenstypische Merkmale des Tieres, dessen spezielle Bedürfnisse und Stressregulationsmechanismen.
Eignen sich alle Tiere für den tiergestützten Einsatz?
In Deutschland werden vielfach Pferde und Hunde im Bereich der tiergestützten Interventionen eingesetzt. Gerade das sogenannte therapeutische Reiten und die Hippotherapie ist hierzulande sehr gefragt und verbreitet. Auch immer bekannter wird der Einsatz von z.B. Alpakas und anderen Farmtieren, wie z.B. Ziegen oder Eseln.
Welches Tier man auswählt, hängt stark von den jeweiligen Zielsetzungen ab. So eignen sich Fluchttiere, wie z.B. Kaninchen oder Meerschweinchen nicht, um sie zu streicheln. Hier eignet sich eher der Hund.
Dennoch kann man Kleintiere und auch Hühner beispielsweise in einem Freilaufgehege beobachten und bei freiwilliger Kontaktaufnahme füttern. Wie bei allen Tieren, die in tiergestützten Interventionen eingesetzt werden, muss auch bei Kleintieren jederzeit ein freizugänglicher Rückzugsort vorhanden sein.
Grundsätzlich ist aber wichtig, dass sich auch Tiere einer Art, also z.B. Hunde, stark darin unterscheiden können, ob sie für den therapiegestützten Einsatz bzw. die tiergestützte Lerntherapie geeignet sind. Hunde beispielsweise müssen einen Wesenstest bestehen. Dieser wird fachkundig durchgeführt und dokumentiert, sowie in regelmäßigen Abständen wiederholt.
Der Hund sollte dem Menschen gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen sein, daher also früh positive Erfahrungen mit Menschen unterschiedlichen Alters gemacht haben. Er sollte Umweltreizen gegenüber entspannt reagieren und ein ausgeglichenes Wesen haben. Weiterhin dürfen nur gesunde Tiere eingesetzt werden.
Worauf muss ich bei einer tiergestützten Therapie achten?
Nicht nur in der Lerntherapie, sondern in allen therapeutischen oder pädagogischen Settings muss stets darauf geachtet werden, dass die Bedürfnisse der Schüler und des Tieres aufeinander abgestimmt werden. Manche Kinder möchten beispielsweise zunächst keinen direkten Kontakt mit dem Hund oder Pferd und wünschen sich nur die bloße Anwesenheit des Tieres oder möchten zunächst nur beobachten.
Für die Bedürfnisse des Tieres gelten klare Vorschriften. Es müssen tierethische Aspekte berücksichtigt werden, die das Wohlergehen des Tieres sicherstellen. Außerdem dürfen nur gesunde Tiere eingesetzt werden, unter ständiger Berücksichtigung von eventuellen Stressreaktionen. In einem solchen Fall muss der Einsatz abgebrochen werden. Für die Tiere muss ein ständiger Rückzugsort vorhanden sein, der frei zugänglich ist und es sind entsprechende Ruhephasen sowie klar geregelte Zeiten für den Einsatz zu beachten.
Welche Rolle spielen Tiere in der Förderung mathematischer Fähigkeiten bei Kindern mit Rechenschwierigkeiten?
Es gibt viele unterschiedliche Möglichkeiten. Wichtig ist, dass die Intervention und damit die tiergestützte Lerntherapie zielgerichtet ist und einer klaren Struktur folgt. Sie muss also sorgfältig geplant, durchgeführt und ihre Wirkung evaluiert, d.h. kritisch bewertet, werden. Hat die Intervention das geplante Ziel erreicht oder muss sie angepasst bzw. verändert werden?
Im lerntherapeutischen Setting könnte beispielsweise der Therapiehund mit dem Ziel eingesetzt werden, eine kognitive und psychische Verbesserung bei einem Kind mit Rechenstörung zu erreichen.
Speziell könnte es darum gehen, dass das Kind seine Rechenfähigkeit im Bereich der Addition im Zahlenraum 10 verbessert. Aufgrund negativer Lernerfahrungen hat das Kind möglicherweise Ängste vor direkten Leistungsrückmeldungen. Hier kann eine tiergestützte Lerntherapie dem Schüler wieder Mut machen und dabei helfen, Rechnen mit etwas Positivem zu verbinden.
So könnte man beispielsweise das Kind Additionsaufgaben aus dem Zahlenraum 10 rechnen lassen. Der Hund bringt zu Beginn einen Stapel Aufgabenkarten zum Kind. Anschließend kann der Hund mittels Buzzer eine direkte Leistungsrückmeldung zu jeder Aufgabe geben. Der Hund hat zuvor gelernt, auf eine spezifische Frage mit einem Signalwort (z.B. „richtig“) den Buzzer mit der Pfote zu drücken.
Hat das Kind richtig gerechnet, wird der Hund gefragt „Ist das richtig?“, hingegen bei einem falschen Ergebnis „Stimmt das?“. Der Hund entscheidet sich also nach der Art der Frage, den Buzzer mit seiner Pfote zu drücken oder eben nicht. Tiere kritisieren und urteilen nicht. Das Gefühl der ausnahmslosen Akzeptanz führt dazu, dass Kinder sich nicht negativ bewertet fühlen. Außerdem lernen sie mit konkreten Leistungsrückmeldungen adäquater umzugehen.
Diese Intervention hat übrigens meine österreichische Kollegin Frau Dr. Silvia Pixner in einer Fortbildung beschrieben. Das hat mir so gut gefallen, dass es zukünftig meine tiergestützte Lerntherapie bereichern wird.
Welche positiven Effekte hat eine tiergestützte Intervention?
Glücklicherweise widmet sich die Wissenschaft mehr und mehr diesem Thema. Zu wünschen ist zwar weiterhin, dass der Austausch zwischen tiergestützter Praxis und der wissenschaftlichen Forschung noch intensiver wird, jedoch gibt es inzwischen einige empirische Studien, die unterschiedliche positive Effekte tiergestützter Interventionen auf den Menschen beschreiben.
In ihrem Fachbuch beschreiben die Autoren Beetz et al. (2021) nicht nur soziale, sondern auch psychologische und neurobiologische Effekte.
- Soziale Effekte: Reduktion aggressiven Verhaltens bei Schulkinder
- Psychologische Effekte: Steigerung von Konzentration und Motivation, auch bei Kindern mit Aufmerksamkeitsstörungen
- Neurobiologische Effekte: Stressmilderung und Angstreduktion, die sich durch physische Veränderungen wie sinkenden Blutdruck und gesteigertes Wohlbefinden ausdrücken.
Der wichtigste Wirkfaktor tiergestützter Interventionen und damit auch der tiergestützten Lerntherapie ist aber in meinen Augen das Gefühl der bedingungslosen Akzeptanz. Tiere bewerten die Kinder auch in Leistungssituationen (z.B. einer Vorlesesituation oder dem Erklären von Rechenwegen) nicht negativ. Sie sind geduldige Zuhörer und das ist für unser lerntherapeutisches Setting sehr wertvoll.
Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass sich Kinder nur durch die bloße Anwesenheit meines Labradors deutlich entspannter fühlen und sich emotional leichter öffnen können. Dazu trägt auch der Körperkontakt des Kindes zum Tier bei.
Vielen lieben Dank Sarah für das Interview!
Tierische Unterstützung bei mir vor Ort
Vermutlich fragst du dich jetzt, ob ich auch tierische Unterstützung habe. Tiergestützte Lerntherapie sieht bei mir folgendermaßen aus: Mich begleiten 2 Katzen und 2 Kaninchen während meiner Förderung (natürlich immer nur dann, wenn der Schüler es möchte). In der Regel kommen die Kaninchen für eine kurze Bewegungspause während der Förderung ins Spiel, denn beide leben bei uns im Garten und so verbringen wir einen kurzen Moment draußen, verbinden es mit einer Übung im Freien oder nutzen die Zeit für eine kurze Pause und füttern und beobachten beide. Auch eine meiner beiden Katzen ist sehr zutraulich und hört manchmal beim Vorlesen ganz genau zu und schnurrt dabei ganz sanft.
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Literatur:
Beetz, A., Riedel, M. & Wohlfahrt, R. (2021). Tiergestützte Interventionen. Handbuch für die Aus- und Weiterbildung. München: Reinhardt.
Schön, wie ihr eure Arbeit mit den Tieren und Kindern beschreibt. Tiere haben so einen großen Einfluss auf unser körperlich, geistiges und seelisches Wohlbefinden. Wir tun gut daran, die Kinder dieser Welt heranzuführen an die Verbindung mit ihnen. Geschieht das noch auf der Basis der Freiwilligkeit und des Vertrauens ist es eine runde Sache. Ich würde mir wünschen, Kinder dürften viel mehr Zeit in der Natur verbringen und dort spielerisch lernen.
Liebe Grüße
Marianne