Welche Aufgaben haben Lerntherapeuten an Schulen überhaupt und wie kann individuelle Förderung gelingen? Als ich letzte Woche verschiedene Gespräche mit Lehrkräften hatte und zu einem Vortrag an einer Berufsschule eingeladen war, wurde mir bewusst, dass es so wichtig ist, noch ausführlicher zu berichten, was wir Lerntherapeuten überhaupt an Schulen machen: Wie wir fördern, beraten und unterstützen können. Dabei ist die Unterstützung in der Schule anders ausgeprägt als klassisch in der Einzelförderung.
Was wir Lerntherapeuten nicht sind: Lückenfüller für fehlende Lehrkräfte, sondern wir bringen ergänzendes Fachwissen mit, was an Schulen dringend benötigt wird (Weitere Informationen im Kommentar von Michael Hirn „Kein billiger Ersatz“ in der GEW Mitgliederzeitschrift von Juli 2022, S. 26).
Es geht auch nicht darum, wer „besser“ qualifiziert ist, es geht um ein Miteinander der unterschiedlichen Professionen, in einem multiprofessionellen Team und um eine innerschulische Kooperation im Sinne der Schüler.
Was ist eine integrative Lerntherapie?
Ich zitiere hier gerne Wikipedia, denn hier wird sehr gut zusammengefasst, welchen Schwerpunkt eine Lerntherapie verfolgt und dass sie eine klare Abgrenzung zur Nachhilfe hat.
Die Integrative Lerntherapie (iLT) ist eine interdisziplinäre Therapieform zur Behandlung von Lern-, Leistungs- und Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten. Sie bezieht sich vor allem auf Legasthenie (Lese- und Rechtschreibstörung) oder Dyskalkulie (Rechenstörung).
Integrative Lerntherapie integriert Erkenntnisse und Behandlungsmethoden aus der Psychologie, Psychotherapie, Kognitionswissenschaft und Medizin, aus der Pädagogik und den Fachdidaktiken der Linguistik und der Mathematik.
Das Ziel der Integrativen Lerntherapie ist erreicht, wenn sich die soziale und psychische Situation des Kindes stabilisiert hat, die Kompetenzen im Bereich Schriftsprache und/oder Mathematik die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen und sich die Betroffenen wieder selbstwirksam erleben und Zutrauen in ihre Lernfähigkeit entwickelt haben. Insofern ist Integrative Lerntherapie immer Hilfe zur Selbsthilfe.
Die Wirksamkeit des Konzepts der Integrativen Lerntherapie ist durch verschiedene Studien belegt.
Quelle: Wikipedia, aufgerufen am 22.3.2023
Ist das, was ich mache, überhaupt Lerntherapie in Schule?
Lerntherapie in Schule wird an jeder Schule ein wenig anders umgesetzt, je nach Schule, Kollegium und Rahmenbedingungen und dabei sind die Möglichkeiten, dass Lerntherapeuten an Schulen unterstützen sehr vielfältig.
Ich z.B. war in den letzten 5 Jahren als sogenannter Nicht-Erfüller (Lehrkraft an einer Schule ohne Lehramtsausbildung) an verschiedenen Grundschulen, an einem SBBZ und einer Gemeinschaftsschule tätig. Ich bin integrative Lerntherapeutin und keine Lehrkraft, auch wenn mein Vertrag das so vorsieht. Während ich in den ersten Jahren meiner Tätigkeit noch Schüler individuell fördern konnte (1:1 oder in Kleingruppen), werde ich immer mehr im Klassenunterricht eingesetzt und habe weniger Ressourcen für die individuelle Förderung von Schülern. Ich setze mich dafür ein, dass sich das ändert.
Meiner persönlichen Erfahrung nach, ist Lerntherapie in Schule auch niederschwellig zu sehen, denn sobald ein Lerntherapeut an einer Schule arbeitet, steigt das Bewusstsein für Lernschwierigkeiten im Kollegium. Auch wenn nicht immer Stunden zur individuellen Förderung zur Verfügung stehen, sind es die kurzen Gespräche an der Kaffeemaschine, der Austausch über einen Schüler zwischen Tür und Angel oder der fachliche Input in den Lehrerkonferenzen, die lerntherapeutisches Wissen an Schulen bringen und damit auch Lerntherapie in Schule niederschwellig etablieren.
Mein Ziel ist es, dass Lerntherapeuten an Schulen fester Bestandteil werden, um Schülern mit LRS oder Rechenschwäche möglichst präventiv eine Förderung zu ermöglichen. Eine Win-win-Situation für alle, wenn man Offenheit und Mut mitbringt.
33 Möglichkeiten, wie Lerntherapeuten an Schulen unterstützen können – und es jetzt bereits tun
Viele Lerntherapeuten sind bereits an hunderten Schulen in Deutschland tätig und setzen sich für Schüler mit einer LRS oder Rechenschwäche ein, unterstützen aber auch bevor die Schwierigkeiten größer werden und beraten Lehrkräfte und Eltern. Ganz oft aber sind es zeitlich befristete Projekte und die wertvolle Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und Lerntherapeuten wird durch fehlende Finanzierungen wieder beendet. Mehr Informationen und Praxisbeispiele findest du in meiner Blogparade Lerntherapie in Schule.
Hier findest du verschiedene Möglichkeiten, mit welchen Schwerpunkten Lerntherapeuten an Schulen unterstützen können:
Unterstützung von Schülern
Einzelförderung, individuelle Förderung/Gruppenförderung
- Identifikation von Schülern mit Lernschwierigkeiten – Förderdiagnostik
- Durchführung von Einzel- und Gruppenförderung
- Beratung von Schülern und Eltern bei der Wahl von geeigneten Schulformen und Bildungswegen
- Vermittlung von Techniken zur Stärkung des Selbstbewusstseins und Selbstwertgefühls
- Durchführung von Trainings zur Förderung der Resilienz bei Schülern
- Durchführung von Übungen zur Verbesserung der Feinmotorik und Stifthaltung
- Vermittlung von Methoden zur Verbesserung der Merkfähigkeit und Gedächtnisleistung
- Durchführung von Gruppenangeboten zur Förderung der Konzentration und Aufmerksamkeit
- Unterstützung bei der Bewältigung von Prüfungsängsten
- Durchführung von Gruppenangeboten zur Förderung von sozialen Kompetenzen
- Durchführung von Workshops zur Verbesserung der Lern- und Arbeitstechniken der Schüler (Lerncoaching)
Unterstützung von Lehrkräften
- Fortbildungen für Lehrkräfte
- Intervisionen/kollegiale Fallberatungen für Lehrkräfte
- Supervision (einige Lerntherapeuten haben eine Zusatzqualifikation)
- Beratung zum Nachteilsausgleich/Notenschutz
- Erstellung von Förderplänen
- Gemeinsame Gespräche mit Eltern
- Beratung zu Fördermaterialien
- Kooperation und Austausch mit außerschulischen Ansprechpersonen, wie Ergotherapeuten, Logopäden
- Kooperation mit Beratungslehrern, Schulpsychologen und Sonderpädagogen
- Beratung und Unterstützung von Lehrkräften bei der Umsetzung von Inklusion/individuelle Förderung
- Beratung und Unterstützung von Lehrkräften bei der Integration von digitalen Medien im Unterricht
- Entlastung im Unterricht
Unterstützung und Weiterentwicklung der Schule
- Erstellung eines LRS oder Rechenschwäche Förderkonzepts für die Schule
- Teilnahme an Schulentwicklung und -planung
- Beratung und Fortbildung des Ganztagsteams
- Erstellung von Arbeitsmaterialien zur Verbesserung der Lern- und Unterrichtsqualität
- Durchführung von Projekttagen, Thementagen mit Schülern oder Eltern
Unterstützung von Eltern
- Elternabende oder Workshops zum Thema LRS, Rechenschwäche, Konzentrationsschwierigkeiten
- Beratung zu Lernschwierigkeiten und Fördermöglichkeiten
- Beratung bei der Finanzierung einer Lerntherapie
- Unterstützung beim Nachteilsausgleich
- Beratung zur Hausaufgabensituation und deren Entlastung
Die Möglichkeiten sind sehr vielfältig und immer davon abhängig, welchen Rahmen die Schule vorgibt und welche Art der Unterstützung finanziert wird.
Lerntherapie in Schule ist vielfältig
Mehr Miteinander und der Integration von ergänzendem Fachwissen
Meiner Meinung nach brauchen wir aufgrund der wachsenden Heterogenität ergänzendes Fachwissen an Schulen in Form von multiprofessionellen Teams. Leider wird das an Schulen nicht überall so gerne gesehen, manchmal werden Nicht-Erfüller eher als Hilfskräfte gesehen. Das Potenzial wird dann bedauerlicherweise nicht ausgeschöpft. Warum ich an einer Schule arbeite, erfährst du hier.
Ich wünsche mir ein Miteinander und eine Kooperation auf Augenhöhe.
Für ein Miteinander und um der wachsenden Heterogenität an Schulen gerecht zu werden, sind drei Dinge besonders von Bedeutung
- Andere Professionen und anderes Fachwissen an Schulen sind keine „Bedrohung“, sondern eine Bereicherung und Entlastung
- Es sollte noch viel klarer nach außen kommuniziert werden, was wir Lerntherapeuten genau machen, wie wir arbeiten und wo wir unterstützen können — konkrete Praxisbeispiele findest du in meiner Blogparade
- An Schulen haben wir alle ein gemeinsames Ziel: Eine Unterstützung von Schülern
Gerne möchte ich hier Prof. Dr. Ramseger aus seinem Vortrag Ende März in Engen zitieren:
„Lehrerinnen und Lehrer, Erzieher und alle, die mit Kindern und Jugendlichen in der Schule arbeiten, haben alle dieselbe Aufgabe und tun dieselben Aufgaben: Sie sind alle Bildungsarbeiterinnen“
Das lässt sich auch auf Lerntherapeuten und multiprofessionelle Teams übertragen. Wir brauchen alle Fachkräfte, um unsere Kinder bestmöglich zu begleiten und ihnen eine individuelle Förderung zu ermöglichen.
Was sind deine Erfahrungen mit Lerntherapeuten an Schulen? Kommentiere doch gerne unter diesem Beitrag.
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Ja, ich freue mich drauf
Liebe Susanne,
du hast eine gute und gründliche Auflistung möglicher Aufgaben vorgenommen. In einem Punkt möchte ich aber dezidiert widersprechen. Ich biete Supervision nach gründlicher dreijähriger Weiterbildung an und denke nicht, dass alle Lerntherapeuten Supervisionen anbieten sollten. Das ist wie bei der Bezeichnung Lerntherapeut. Jeder kann sich so nennen, aber der BVL, FiL und BLT arbeiten ja nicht umsonst an der Schaffung eines qualifizierten, einheitlichen Berufsbildes.
Liebe Hildegard, jeder Lerntherapeut hat verschiedene Schwerpunkte und einige sind auch Supervisoren, Supervision führen dann die Lerntherapeuten durch, die eine Zusatzqualifikation haben. Genauso wie sich nicht jeder Lerntherapeut mit ADHS oder Dyskalkulie auskennt. Wie dann welcher Punkt umgesetzt wird von meiner Übersicht, ist dann individuell geregelt. Lieben Gruß Susanne