Seit über einem halben Jahr bin ich als Lerntherapeutin an einer Berufsschule tätig. Hier bekommst du einen kurzen Einblick in meine Tätigkeit. Du erfährst außerdem, wie meine Arbeit an der Schule finanziert wird, die Vorgehensweise bei der Lernstandserhebung und welche Bedingungen dazu beitragen, dass Lerntherapie in Schule erfolgreich gelingt.
Mein Vortrag an der Ausbilderversammlung
Vor ca. einem Jahr kam Berufsschullehrer Elmar Schreiber auf mich zu. Er fragte nach möglichen Hilfen für Azubis mit Lernschwächen und ob ich einen kurzen Vortrag zu Dyskalkulie / Rechenschwäche und Legasthenie/LRS im Rahmen der Ausbilderversammlung halten könnte.
Ich sagte zu und im März 2023 war es dann soweit. Ich referierte über Lernschwierigkeiten im Erwachsenenalter, Anlaufstellen für eine Diagnostik, aber auch zu Hürden in der Finanzierung, da eine lerntherapeutische Förderung in der Regel privat finanziert wird.
Damals ahnte ich noch nicht, dass dieser Vortrag an der Ausbilderversammlung der Startschuss für einen Neubeginn sein würde. Denn nur wenige Monate später als Lerntherapeutin an einer Berufsschule starte.
Herr Schreiber teilte mir nach meinem Vortrag mit, dass er bei der Schulleitung angefragt hatte, ob ich im nächsten Schuljahr an der Schule als Lerntherapeutin arbeiten könnte. Im Frühjahr 2023 war allerdings noch unklar, ob das Projekt „Lernen mit Rückenwind“ (das Corona-Aufholprogramm in Baden-Württemberg) verlängert werden würde. Geplant war zu diesem Zeitpunkt nur eine Finanzierung bis zum Sommer 2023.
Ende Juli gab es grünes Licht. Die Finanzierung über Rückenwind war möglich und ich unterschrieb meinen Vertrag für einen Start im September 2023.
Meine Aufgaben an der Berufsschule
Die Albert-Schweitzer-Schule hat über 1.000 Schüler und ca. 100 Lehrkräfte und ein großes berufliches Bildungszentrum im Schwarzwald-Baar-Kreis. Der Schwerpunkt der dualen Ausbildung liegt in den Bereichen Gartenbau, Floristik, Landwirtschaft, Hauswirtschaft sowie Pflege.
Ich fördere schwerpunktmäßig Auszubildende des Garten- und Landschaftsbaus und begleite diese 12 Stunden in der Woche. Neben der unterrichtsbegleitenden Förderung unterstütze ich 2x die Woche in Kleingruppen, manchmal auch in einer Einzelförderung im Fach Deutsch und im Fachrechnen. Ein enger Austausch mit den Lehrkräften ist jederzeit gegeben, da ich auf große Offenheit gegenüber meiner Förderung stoße.
Außerdem berate ich Lehrkräfte zum Thema Nachteilsausgleich, bin aber auch mit Eltern und den Ausbildungsbetrieben im engen Austausch. Die Aufgaben für mich als Lerntherapeutin an einer Berufsschule sind sehr vielfältig.
Die ersten Wochen
Die ersten Wochen an einer neuen Schule sind in der Regel sehr intensiv, neue Kollegen und Abläufe kennenlernen, Organisatorisches klären und natürlich die Azubis selbst kennenlernen. Die Albert-Schweitzer-Schule ist nicht meine erste Schule, an der ich arbeite, allerdings die erste Schule mit einem Vertrag als Lerntherapeutin. Zuvor hatte ich als sogenannter Nicht-Erfüller an verschiedenen Schulen gearbeitet.
Die ersten Wochen war ich viel im Unterricht dabei und lernte somit alle Azubis kennen. Der Unterricht für die Gärtner findet im Blockunterricht statt. Die Ausbildungsjahre 1, 2 und 3 ist immer abwechselnd vor Ort. Das war anfangs für mich eine große Herausforderung, denn kaum hatte ich in der einen Woche die Azubis kennengelernt, kam die Folgewoche ein anderer Jahrgang.
Natürlich hatte ich eine grobe Vorstellung vom Beruf des Gärtners, aber mit den Azubis zuarbeiten, hat mir fachlich nochmal einen ganz anderen Blick in das Berufsbild gegeben.
Lernstandserhebungen und Gruppeneinteilung
Innerhalb der ersten Wochen haben wir für den 1. Ausbildungsjahrgang Lernstandserhebungen durchgeführt, sowohl in Mathematik als auch in Deutsch, um so die Schüler herauszufiltern, die einen Förderbedarf haben. Unser Ziel war präventiv und frühzeitig zu fördern und nicht abzuwarten, bis die ersten Arbeiten geschrieben sind.
Inhalte der Lernstandsdiagnostik waren in Deutsch das Lese-bzw. Textverständnis und die Rechtschreibung. In Mathematik lag der Fokus auf Grundlagen wie Brüche, Gleichungen, Potenzen und Flächeninhalte.
Es war ein Mix aus einer digitalen Lernstandsanalyse, die seitens der Schule (vom Land BW) zur Verfügung gestellt wurde, analogen Schreibtests und individuellen Gesprächen mit den Schülern.
Die Auswahl der förderwürdigen Schüler aus den Ausbildungsjahrgängen 2 und 3 hat der jeweilige Klassenlehrer zusammen mit den Fachlehrern durchgeführt.
Die Schüler, die ich unterstütze, bringen ganz unterschiedliche Voraussetzungen mit. Einige haben allgemeine Lernschwierigkeiten, andere eine diagnostizierte Legasthenie oder Dyskalkulie. Es gibt aber auch Schüler mit Konzentrationsschwierigkeiten (ADS/ADHS).
Schulintern haben wir eine Vorlage für Zielvereinbarungen entwickelt, um mit den Schülern ganz konkrete individuelle Ziele für die nächsten Monate festzulegen. Dabei bin ich mit allen Schülern ins Gespräch gegangen, um die Ziele so passgenau, attraktiv und motivierend zu gestalten, dass diese auch erreicht werden können (SMARTE Ziele).
Gelingensbedingungen von Lerntherapie in Schule
Lerntherapie in Schule kann absolut bereichernd und gewinnbringend für alle Beteiligten sein. Es steht und fällt allerdings mit verschiedenen Faktoren, die ausschlaggebend sind, ob eine multiprofessionelle Zusammenarbeit gelingt. An der Albert-Schweitzer-Schule sind insbesondere folgende Aspekte von Bedeutung, die dazu beitragen, dass meine Tätigkeit als Lerntherapeutin an der Berufsschule. so positiv angenommen wird.
Vor Ort Förderung: Die Förderung vor Ort, die in den schulischen Kontext integriert ist, ermöglicht eine effektive und individuelle Unterstützung der Schüler.
Offenheit und Wertschätzung: Eine Schulleitung und Abteilungsleitung, die das Ganze mittragen und immer ein offenes Ohr für mich haben und meine Arbeit wertschätzen.
Feste Ansprechperson: Ich habe großes Glück, dass ich im Kollegium einen Berufsschullehrer habe, der von lerntherapeutischer Förderung in der Schule überzeugt ist. Er steht jederzeit für einen Austausch zur Verfügung, außerdem reflektiert er mit mir gemeinsam, was gut läuft und wo wir die Förderung noch anpassen können.
Enger Austausch: Eine enge Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften, Ausbildungsbetrieben und mir ist von großer Bedeutung für den Erfolg der Fördermaßnahmen.
Rollenklarheit: Durch einen Vertrag als Lerntherapeutin ist klar festgelegt, welche Rolle ich habe. Ich werde nicht als Ersatz für fehlende Lehrkräfte eingesetzt, sondern konzentriere mich auf meine Expertise in der Förderung von Schülern sowie der Beratung von Lehrkräften.
Erfolge in den ersten 6 Monaten an der Schule
Nach 6 Monaten sind folgende Erfolge sichtbar, die aufzeigen, dass in der Förderung vor Ort großes Potenzial liegt:
- Lernstanderhebungen zur Früherkennung eines Förderbedarfs
- Beschleunigung der Förderung
- Stärkung der Eigenverantwortung durch Formulierung von Zielvereinbarungen gemeinsam mit Schülern
- Stärkung der Mitarbeit im Unterricht
- Selbstwertstärkung
- Unterstützung der Lehrkräfte hinsichtlich Nachteilsausgleich, Unterrichtsgestaltung, Diagnose, Unterrichten im Tandem in Deutsch und Fachrechnen
Kleine Hürden
Neben den positiven Dingen, gibt es auch immer wieder kleine Hürden, für die immer eine Lösung gefunden wurde. Diese kleinen Hürden sorgen aber dafür, dass meine ich einen Teil meiner Stunden für administrative Dinge aufbringen muss. Diese Punkte habe ich im Juli am Ende vom Schuljahr 23/24 ergänzt.
- ich bekomme nur alle 2 Monate mein Geld (Rückenwind sieht eine 2-monatliche Rechnungsstellung vor, in der Regel klappt es relativ schnell, dass ich mein Geld bekomme, aber manchmal vergehen dann nochmal 3 Wochen bis das Geld auf dem Konto ist)
- ich bin nicht im regulären E-Mail Verteiler der Schule und muss daher aktiv nach Terminen fragen. Termine wie der pädagogische Tag, Abschlussfeiern, Ausbilderversammlungen und weitere Termine. Da muss ich proaktiv sein, sonst verpasse ich vieles.
- Thema Datenschutz: Es ist hier definitiv mehr zu organisieren als wenn ich regulär als Teil eines multiprofessionellen Teams mit einem Festvertrag beschäftigt wäre.
- Am 2.7. kam die Info, Rückenwind wird über den 31.7.24 hinaus verlängert (bis zum 31.12.24). Wie es allerdings danach weitergeht, ist offen und das ist nicht ideal, eine Planung ist so nicht möglich
Fazit und Ausblick
Ich fühle mich sehr wohl an der Schule und bin herzlich aufgenommen worden. Ich erlebe außerdem eine große Offenheit im Kollegium mir gegenüber.
Anfangs war ausschließlich die Unterstützung der Landschaftsgärtner geplant. Nach und nach kommen auch immer mehr Lehrkräfte aus anderen Bereichen auf mich zu und fragen mich um Unterstützung.
Da Förderung nur langfristig erfolgreich ist und eine lerntherapeutische Förderung immer auch auf einem Beziehungsaufbau beruht, der Zeit benötigt, hoffe ich, dass in naher Zukunft Lerntherapeuten fester Bestandteil an Schulen werden.
Von multiprofessioneller Zusammenarbeit profitieren alle: Die Lehrkräfte, die Schüler, die Eltern, aber auch die Ausbildungsbetriebe.
„Die Arbeit von Frau Seyfried bereichert das Spektrum von Möglichkeiten an beruflichen Schulen und bietet Ansatzpunkte, die sonst nicht bearbeitet werden könnten.“ Frau Hendricks-Kaiser, Schulleiterin
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Ja, ich freue mich drauf