Ist Öffentlichkeitsarbeit für Lerntherapeuten an Schulen nicht extrem aufwendig? Dürfen Lerntherapeuten überhaupt an Schulen arbeiten? Ja, Themen an die Öffentlichkeit zu bringen kann aufwendig sein, aber schließlich geht es um das Wichtigste, was wir haben: unsere Kinder.
Seit 2018 arbeite ich an einer Grundschule in Baden-Württemberg und hatte dabei als Lerntherapeutin ganz unterschiedliche Aufgaben – von der Beratung von Lehrkräften am Beckenrand während des Schwimmunterrichts bis hin zu individueller Förderung und Diagnostik von Schülern oder Elterngespräche.
Aber als Lerntherapeutin an einer Schule zu arbeiten ist keinesfalls selbstverständlich und auch nicht immer einfach, denn bis Lerntherapeuten fester Bestandteil an Schulen werden, ist noch ein weiter Weg, solange muss ich einen Umweg über einen Vertrag als Lehrkraft gehen. Aber jeder kleine Schritt und jede Öffentlichkeitsarbeit auf diesem Weg dorthin bringt uns (vor allem die Schüler) weiter.
Wir müssen jetzt handeln – tausende Schüler brauchen unsere Unterstützung.
Ich nehme dich auf den Weg, den die Veröffentlichung des Titelthemas Lerntherapie in Schule in der Mitgliederzeitschrift der GEW genommen hat. Denn wie so oft – jeder sagt, das unterstützen wir. Denn wir brauchen mehr Fachkräfte an Schulen, wir benötigen multiprofessionelle Teams an Schuleund die Schüler brauchen mehr individuelle Förderung. Und dann? Dann passiert lange nichts, denn bis Taten folgen, dauert es oft Jahre.
Gehen wir ein paar Jahre zurück:
Herbst 2017: Berufliche Neuorientierung
Geplant war es nicht, dass ich mal als Lehrkraft an einer Schule arbeite und mich damit auch für Möglichkeiten von Lerntherapeuten an Schulen einsetzen werde. Denn ursprünglich war ich in meinem Job als Logistik-Abteilungsleiterin extrem zufrieden – bis zu dem Tag, wo meine Tochter nicht mehr zur Schule gehen wollte und ich die Förderung von ihr selbst in die Hand nahm, denn Dyskalkulie schien ein Fremdwort zu sein und von individueller Förderung und Begleitung war leider auch nicht die Rede. Man hat meine Tochter mit ihren Matheschwierigkeiten einfach alleine gelassen.
Um es abzukürzen, ich ging nochmal zur Uni, bildete mich fort und war 6 Monate nach meinem Ausstieg aus der freien Wirtschaft als Lerntherapeutin an einer Schule tätig.
2018: Ich arbeite das erste Mal als Lehrkraft an einer Schule
Da war er: Der erste Tag an einer Förderschule, anfangs noch ehrenamtlich. Ich wollte einfach hinzulernen: Wie tickt Schule, was ist möglich und wo sind Grenzen von individueller Förderung. Im Dezember 2017 bewerbe ich mich daher für eine Tätigkeit an einer Förderschule. Ich wurde sofort genommen und konnte erste Erfahrungen an einer Schule sammeln. Die Schulleiterin war von meiner Unterstützung und meiner Arbeit an der Schule total begeistert und kam nach wenigen Wochen auf mich zu, ob ich mir nicht vorstellen könne, länger an ihrer Schule zu arbeiten. Die einzige Möglichkeit: Ein befristeter Jahres-Vertrag als Lehrkraft (in BW auch liebevoll Nicht-Erfüller genannt). Klar, hatte ich Lust drauf, denn mir macht die Arbeit an der Schule unheimlich viel Freude.
So fing ich tatsächlich im September 2018 an dieser Förderschule als Lehrkraft an zu arbeiten.
November 2018: Mein Antrag in der Personalversammlung
Jedes Jahr finden Personalversammlungen statt. Im November 2018 war meine erste Personalversammlung. Wie diese genau abläuft, war mir damals noch unklar, aber ich wusste, man konnte Anträge einreichen. Anträge, um Dinge in Bewegung zu setzen. Kaum 3 Monate an der Schule verfasste ich meinen ersten Antrag an die Personalversammlung (der vor mehreren hundert Lehrkräften für mich vorgetragen wurde, weil ich an dem Tag krank war).
Meinen Antrag Personalversammlung Lerntherapie in Schule find Ich hatte ihn zig Mal umformuliert und mehrmals gedacht, warum mache ich das überhaupt? Bringt das überhaupt etwas? Nach der Versammlung berichtete man mir, dass der Antrag angenommen wurde, es aber skeptische Bemerkungen gab. Denn gab es überhaupt ein anerkanntes Berufsbild des Lerntherapeuten? Konnte sich nicht jeder so nennen? Mir war klar, da ist noch ganz viel Öffentlichkeitsarbeit nötig und aufzuzeigen, was Lerntherapeuten überhaupt machen.
August 2019: Rückmeldungen auf meinen Antrag
Fast ein Jahr lang hörte ich fast nichts mehr, dann kamen Rückmeldung aus der Politik, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), des Verbandes für Bildung und Erziehung (VBE) und grundsätzlich waren alle positiv gestimmt. Der allgemeine Tenor: Ja, genau dahinter stehen wir auch, multiprofessionelle Teams sind eine Bereicherung.
Hier die Rückmeldung der GEW:
Was ist danach passiert? Nichts! (Noch nichts).
Sommer 2020: Ich bin in Kontakt mit Landtagsabgeordneten
Ein Jahr später greife ich das Thema nochmal auf (ja, ich lasse nicht locker). Ich frage bei verschiedenen Landtagsabgeordneten nach, die wiederum das Kulturministerium kontaktieren.
Die Antworten sind ernüchternd, zumal überhaupt nicht klar wird, was Lerntherapeuten für einen beruflichen Hintergrund haben. Ich habe zwar ausführlich beschrieben, welche Kompetenzen Lerntherapeuten haben, aber für das System Schule sind Lerntherapeuten Neuland. Hier die Antwort vom Kultusministerium:
Eine Möglichkeit besteht darin, als pädagogische Assistentin/Assistent tätig zu werden. Die Hauptaufgabe von Pädagogischen Assistentinnen und Assistenten ist die Unterstützung und Entlastung von Lehrkräften im Unterricht. Sie sind keine eigenverantwortlich im Unterricht tätigen Lehrpersonen, sondern arbeiten im Auftrag von Schulleitungen und Lehrkräften, denen sie zugeordnet sind. Die zentrale konzeptionelle Planung des Unterrichts sowie die Diagnose des Lern- und Leistungsstands der Schülerinnen und Schüler werden von der Lehrkraft erbracht.
Bei mir ist es genau andersherum, ich übernehme die Diagnose des Lern- und Leistungsstands der Schüler und gebe dann Empfehlungen für den Unterricht an die Lehrkraft weiter. Außerdem habe ich ja einen Vertrag als Lehrkraft und bin damit schon längst eigenverantwortlich im Unterricht.
Sackgasse. Ich recherchiere weiter und mache mir Gedanken, wie ich mehr Öffentlichkeitsarbeit für Lerntherapeuten an Schulen machen kann.
Januar 2021: Ich frage nochmal bei der GEW nach
Ich kontaktiere den VBE (Verband Bildung und Erziehung), die GEW und regional verschiedene Politiker. Von der GEW bekomme ich dann folgende Antwort:
„Inhaltlich hat zu Ihrem Anliegen ja bereits Doro Moritz in dem Ihnen vorliegenden Schreiben geantwortet. Unsere Versuche, hier eine Anerkennung zu erreichen und auch bei der Lehrereinstellung Einstellungen von sogenannten „Nichterfüller*innen“ mit Praxiserfahrung zu ermöglichen, sind bisher nicht auf Gehör gestoßen. Wir bleiben dran.
Bitte wenden Sie sich auch an Ihre regionalen Landtagsabgeordneten bzw. Kandidat*innen. In zwei Monaten ist Landtagswahl. Die Angeordneten sollten und müssten die Weichen stellen, damit Ihr Anliegen den notwendigen Erfolg erfährt.“
Ob Aktionen geplant sind oder man es in der Mitgliederzeitschrift thematisieren können, könne man nicht sagen.
Ende 2021 – unbefristeter Vertrag und GEW-Mitglied
Wieder ein Jahr später halte ich einen unbefristeten Vertrag als Lehrkraft in den Händen und freu mich riesig (auch dieser Weg war nicht einfach). Ein befreundeter Sonderpädagoge überzeugte mich, dass jetzt ein guter Zeitpunkt sei, GEW Mitglied zu werden. Okay, überredet!:-)
Kurz darauf gebe ich eine Online-Fortbildung für Lehrkräfte zum Thema Nachteilsausgleich für die GEW. Im Januar 2022 erreichte mich eine E-Mail zu einem Kennenlern-Seminar der GEW Südbaden in Freiburg. Klar, bin ich dabei. Im Gepäck: Mein Anliegen zu Lerntherapie in Schule.
Februar 2022 – Kennlern-Seminar für GEW Neumitglieder
Ich treffe die ehemalige Vorsitzende der GEW Baden-Württemberg Doro Moritz persönlich und spreche sie auf mein Thema Lerntherapie in Schule an. Ich finde Gehör und wenige Tage später schreibe ich dem verantwortlichen Redakteur der Mitgliederzeitschrift b&w. Man nimmt sich viel Zeit und hört mir zu und wird sich wieder melden, ob und wie man das Thema aufgreifen könne.
Wenige Wochen später weiß ich: Es klappt und Lerntherapie in Schule wird sogar Titelthema. Ich darf auch einen Beitrag schreiben und habe dafür 3 Seiten zur Verfügung. Ich bin glücklich. Auch meine Hinweise und weiterführenden Links zur Uni Hamburg, dem Pilotprojekt „LetS-GO! – Integrative Lerntherapie in der Schule – Gemeinsam vor Ort“ und dem Antrag vom Fachverband integrative Lerntherapie (FIL) an die Kultusministerkonferenz wurden aufgegriffen und so entstehen neben meinem Beitrag noch weitere Beiträge, um das Titelthema Lerntherapie in Schule von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Auch kann ich jetzt schon mehr zum Berufsbild des Lerntherapeuten schreiben, denn da sind der Berufsverband und der FIL in den letzten Monaten sehr aktiv gewesen. Es ist viel in Bewegung und jeder kleine Schritt zählt.
Eine lerntherapeutische Expertise in der Schule erreicht alle Kinder
Juli 2022: Lerntherapie in Schule ist Titelthema
Ich kann nur alle ermutigen, es dauert Zeit, Geduld und viel persönliches Engagement. Aber es lohnt sich und für mich ist diese Veröffentlichung eine ganz besondere. Ich freue mich riesig, die b&w der GEW vom Juli 2022 in den Händen zu halten. Das Titelthema umfasst 11 Seiten. Ich bin stolz und glücklich, auch wenn die Rahmenbedingungen für Lerntherapeuten an Schulen immer noch nicht optimal sind und ich weiterhin den Umweg über einen Vertrag als Lehrkraft gehen muss. Ich habe somit selten die Chance, fachlich und inhaltlich dort zu helfen, wo meine Hilfe am nötigsten wäre: Bei den Schülern.
Das habe ich erreicht
- Lerntherapie in Schule wird in einer Zeitschrift für Lehrkräfte thematisiert – als Titelthema
- Das Berufsbild Lerntherapeut wird dargestellt
- Durch Öffentlichkeitsarbeit bekommen Lerntherapeuten bessere Chancen an Schulen zu arbeiten
- Lerntherapie in Schule ist sehr vielfältig
Jetzt bist du dran: Dein Praxisbeispiel für Lerntherapeuten an Schulen
Bist du auch Lerntherapeut an einer Schule? Möchtest du meine Öffentlichkeitsarbeit für Lerntherapeuten an Schulen unterstützen? Dann teile dein Praxisbeispiel und lass der Welt daran teilhaben, wie wichtig es ist, dass mehr von uns an Schulen arbeiten. Du hilfst damit allen Schülern, die einfach etwas mehr Unterstützung benötigen und zeigst auf, wie vielfältig Lerntherapie in Schule ist.
Möchtest du regelmäßig Tipps für Schüler mit einer LRS oder Rechenschwäche erhalten? Dann abonniere meinen Newsletter.
Ja, ich freue mich drauf